M. Stuber u.a. (Hrsg): Hallers Netz

Cover
Titel
Hallers Netz. Ein Europäischer Gelehrtenbriefwechsel zur Zeit der Aufklärung.


Herausgeber
Stuber, Martin; Stefan Hächler, Luc Lienhard
Reihe
Studia Halleriana, Band IX
Erschienen
Basel 2005: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
592 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
François de Capitani 

Albrecht von Hallers Korrespondenz beeindruckt schon durch ihre schiere Grösse: über 13 000 Brief an Haller sind erhalten, immerhin über 3700 Briefe Hallers nachweisbar. Das Berner Forschungsprojekt Albrecht von Haller hat 1991–2003 diesen Briefcorpus erschlossen und damit die Haller-Forschung auf eine neue Grundlage gestellt. Das 2002 erschienene «Repertorium zu Albrecht von Hallers Korrespondenz 1724–1777» listete minutiös die an die 1200 erhaltenen einzelnen Briefwechsel auf und erschloss sie mit Registern.

Im jetzt vorliegenden Band ziehen die Bearbeiter des Berner Hallerprojekts Bilanz. Einem modernen kulturgeschichtlichen Ansatz verpflichtet, stehen nicht die einzelnen Koryphäen der Gelehrtenrepublik im Zentrum, sondern das ganze Beziehungsgeflecht der verschiedenen Kommunikationsebenen: Der wissenschaftliche Gedankenaustausch gehört ebenso dazu wie die politische Nachricht, familienstrategische Überlegungen oder medizinische Diagnosen.

Haller steht damit nicht allein; der Gelehrtenbriefwechsel ist ein tragender Teil des frühneuzeitlichen Wissenschaftsbetriebs und alle bedeutenden und unbedeutenden Gelehrten mussten sich hier profilieren. Albrecht von Hallers Netz kommt in Europa eine besondere Stellung zu, vermittelt er doch im grossen Stil zwischen den Nationen und den Sprachen Europas, ganz der Vorstellung der Helvetia mediatrix verpflichtet. Er schrieb mit Leichtigkeit Latein, Französisch, Deutsch und Englisch und so waren ihm in der Gelehrtenrepublik kaum Kommunikationsgrenzen gesetzt.

Der erste Teil des Bandes analysiert den Briefkorpus nach geographischen, chronologischen und thematischen Gesichtspunkten und zieht Quervergleiche zu Korrespondentennetzen anderer europäischer Gelehrter. Hier steht die Forschung noch am Anfang, denn viele Korrespondenzen sind noch nicht aufgearbeitet. Doch es bleibt zu hoffen, dass mit der Zeit die europäische Aufklärung auch als ein «Netz der Netze» beschrieben werden kann.

Der zweite Teil des Bandes präsentiert neun Fallstudien, die zeigen, wie vielfältig die Hallerkorrespondenz für die Forschung herbeigezogen werden kann. Urs Boschung untersucht in der Korrespondenz Hallers eigene Krankheiten; der Briefwechsel um den Zusammenhang zwischen dem unregelmässigen Puls und der Gicht zeigt Hallers schillernde Stellung zwischen der alten Humorallehre und der modernen Physiologie. Barbara Braun-Bucher untersucht die 50 erhaltenen Korrespondenzen mit Frauen, vor allem aus der engeren Verwandtschaft, weitet das Thema aber darüber hinaus zu einer differenzierten Analyse von Hallers Frauenbild. Einmal mehr macht sich hier die lückenhafte Überlieferung der Briefe Hallers schmerzlich bemerkbar. Zur zentralen Funktion der Korrespondenz im Wissenschaftsdiskurs analysiert Hubert Steinke die Rolle des Briefwechsels in wissenschaftlichen Kontroversen. Sehr schön wird hier deutlich, dass die Gelehrtenrepublik keine Idylle war, sondern der Austragungsort knallharter Auseinandersetzungen mit wechselnden Koalitionen und rücksichtslosen Intrigen.

Zwei Untersuchungen befassen sich mit den Sprachen des Hallerschen Netzes: David Krebs untersucht das Latein als Medium der wissenschaftlichen Kommunikation und Claudia Profos aus der Sicht der Germanistik die Mehrsprachigkeit, die ja beim Berner Haller auch verschiedene Formen des Deutschen umfasst. Latein verlor als Universalsprache an Bedeutung, was Haller bedauerte. Der Zwang zur Mehrsprachigkeit bedeutete einen Mehraufwand und setzte neue Schranken.

Schliesslich werden vier Themenkreise näher untersucht. Stefan Hächler beschreibt die Fernkonsultationen Hallers, im 18. Jahrhundert eine durchaus gängige Form der Diagnostik, Luc Lienhard stellt das botanische Netzwerk vor, das Haller selbst als «machine botanique» bezeichnet hatte, ein effizientes und vielschichtiges Netz zur Beschaffung und Beschreibung der Pflanzenwelt im Moment der gros sen Auseinandersetzung zwischen Haller und Linné. Abschliessend stellt Martin Stuber zwei bernische Themenkreise vor: In einer Fallstudie die Rolle des Briefnetzes bei der Vermählung von Hallers ältester Tochter, die im ersten Anlauf an familienstrategischen Bedenken scheiterte. Der vielschichtige Briefverkehr zwischen Bern und Göttingen zeigt uns exemplarisch unter welchen Zwängen das Familienleben des Ancien Régime zu leiden hatte. Eine zweite Fallstudie zeigt uns Albert von Haller als Vermittler zwischen den Kreisen der Ökonomischen Gesellschaft, der er seit 1762 angehörte, und der gelehrten Welt Europas. Zwei Welten stiessen hier zusammen, die oft nicht die gleiche Sprache benutzten.

Der vorliegende, schön gestaltete, aber leider recht unhandliche Band vermag hoffentlich die weitere Beschäftigung mit dem Briefkorpus Albrecht von Hallers anzuregen: Das Berner Hallerprojekt hat hervorragend Voraussetzungen für weitere interdisziplinäre Forschungen zur Geschichte des 18. Jahrhunderts gelegt, wie die Verfasser der Fallstudien aufgezeigt haben.

Zitierweise:
François de Capitani: Rezension zu: Hallers Netz. Ein Europäischer Gelehrtenbriefwechsel zur Zeit der Aufklärung. Hg. von Martin Stuber, Stefan Hächler und Luc Lienhard. Basel, Schwabe, 2005. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 3, 2006, S. 359-361.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 3, 2006, S. 359-361.

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